Forschungsgruppe Prof. Dr. Sina Oppermann
Präzisionsonkologie
Das Konzept der Präzisionsonkologie (PM) wird weltweit eingesetzt, um neue Therapiestrategien für einzelne Patientinnen und Patienten zu ermitteln, vor allem für Hochrisikopatientinnen und -patienten, die an unheilbaren, refraktären oder rezidivierenden aggressiven Krankheiten leiden. Modernste Sequenzierungstechniken werden eingesetzt, um das für den jeweiligen Patienten wirksamste Medikament zu identifizieren, indem die tumortreibende(n) (epi-)genetische(n) Aberration(en) (z. B. Fusion, Mutation oder Amplifikation) in den einzelnen Tumorzellen gezielt angegangen werden (Letai et al., 2017). Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Sequenzierung der Biopsieprobe allein nicht ausreicht, um jedem Patienten ein maßgeschneidertes Medikament zuzuordnen, und die meisten Patienten profitieren derzeit nicht von einer Therapie, die auf der Identifizierung des molekularen Ziels basiert (Kornauth et al., 2022).
Um diese Herausforderungen der aktuellen genomischen PM-Programme zu bewältigen und die Lücke zwischen dem molekularen Wissen über einzelne Krebsarten und dem, was direkt in der Klinik angewendet werden kann, zu schließen, werden umfassende funktionelle Informationen benötigt, um die Anfälligkeit des jeweiligen Tumors zu identifizieren.
Unsere Gruppe für funktionelle Präzisionsonkologie befasst sich mit diesem Bedarf, indem sie umfassende bildbasierte Ex-vivo-Tests der Medikamentenwirksamkeit an von Patienten stammenden Tumorzellen durchführt, um funktionelle Informationen auf der Ebene der einzelnen Tumorzellen zu erhalten.
Zu diesem Zweck führen wir die folgenden Projekte durch:
Erstellung von prädiktiven relevanten ex vivo Krankheitsmodellen:
Wir erhalten frisches und frisch eingefrorenes Tumormaterial von Patientinnen und Patienten, das zur Etablierung von prädiktiven Krankheitsmodellen verwendet wird. Die derzeitigen Schwerpunkte sind Leukämien bei Erwachsenen und Kindern (CLL, AML) sowie ausgewählte solide Tumorarten. Hier konzentrieren wir uns auf die Etablierung von Ex-vivo-Tumormodellen, die die Situation im menschlichen Körper genau widerspiegeln und gleichzeitig für die Prüfung von Arzneimitteln mit hohem Wirkstoffgehalt in Multiwell-Formaten geeignet sind. Wir untersuchen verschiedene Kulturprotokolle, die insbesondere das Tumormikromilieu und den Einfluss zellulärer Matrices nachahmen, darunter 2D-(Co-)Kulturen sowie 3D-Sphäroid-Kulturen, wobei der Schwerpunkt auf Kurzzeitmodellen liegt, die eine relevante klinische Turn-Around-Zeit unserer Wirkstofftestergebnisse ermöglichen.
Kurzzeit- und Langzeit-Tumormodelle werden außerdem verwendet, um die zugrundeliegenden Mechanismen für die beobachtete Medikamentenwirksamkeit und -resistenz zu entdecken. In Reverse-Translation-Studien werden Co-Kultur-Systeme mit Stromazellen, Immunzellen und/oder Zytokin-Signalen etabliert (Oppermann et al., Blood, 2016), um insbesondere mögliche Faktoren zu untersuchen, die zu einer In-vivo-Medikamentenresistenz führen.
Funktionelle Erstellung von Wirkstoffprofilen:
Wir erstellen funktionelle ex vivo-Profile der Empfindlichkeit und Resistenz gegenüber Arzneimitteln ('drug response profiling', DRP) unter Verwendung von primärem menschlichem Material, das von Krebspatienten und gesunden Spendern stammt. Die wichtigste Methode ist der Einsatz der konfokalen spinning-disc Fluoreszenzmikroskopie (HCM, Bioimaging), die es ermöglicht, große Wirkstoffbibliotheken auf ihre Wirkung auf menschliche Krebszellen im Mittel- bis Hochdurchsatzformat zu testen.
Wir testen verschiedene Substanzbibliotheken, darunter die vom Structural Genomics Consortium (SGC) gespendete chemische Sondenbibliothek (chemical probe library) sowie maßgeschneiderte Medikamentenbibliotheken, die hauptsächlich aus von der FDA/EMA zugelassenen Krebsmedikamenten bestehen, darunter konventionelle Chemotherapeutika gemäß den Richtlinien und Standardbehandlungen für die jeweiligen Diagnosen (siehe oben) sowie eine Vielzahl zielgerichteter neuer Medikamente (z. B. (Multi-)Kinase-Inhibitoren) und Substanzen, die derzeit in der späten klinischen Phase (Phase II/III) für die jeweiligen Diagnosen getestet werden. Für mechanistische Studien und Trainingskontrollen werden verschiedene Zelltod-Modulatoren (z. B. für Apoptose, Nekroptose, Ferroptose und ER-Stress-induzierten Zelltod, differentielle/epigenetische und metabolische Modifikatoren) einbezogen. Die Arzneimittel werden in mindestens 5 Konzentrationen getestet, die die klinisch erreichbaren Plasma- und Steady-State-Konzentrationen und Replikate abdecken, hauptsächlich in einem 384-Multiwell-Format.
Da automatisierte Analysewerkzeuge für die Handhabung und Bewältigung großer Datenmengen von entscheidender Bedeutung sind und eine schnelle Umsetzung der Ergebnisse in die klinische Praxis ermöglichen, verwenden wir bioinformatische Pipelines für die Arzneimittelanalyse, die die Quantifizierung des Ansprechens auf Mono- und Kombinationstherapien für einzelne Patientinnen und Patienten und Krankheitskohorten sowie die Zuordnung von Arzneimitteltreffern zu Arzneimittelzielgenen und Multi-omics-Daten ermöglichen (ElHarouni et al., Pharmacol Res., 2022), und entwickeln diese weiter.
Zusammen mit dem molekularen Profiling der jeweiligen Tumorproben werden die funktionellen Informationen zur Aufstellung von Hypothesen über subtypselektive Arzneimittelkombinationen und deren prädiktive Biomarker verwendet. Dieser synergistische Ansatz unterstützt letztlich auch die optimale Gestaltung neuer klinischer Studien (z. B. neue Basket Trials). Schließlich liefern funktionelle Messungen in Kombination mit molekularen Krebsprofilen wertvolle Informationen für nachfolgende mechanistische Studien, die darauf abzielen, potenziell neue/wirksame Ziele zu validieren.
Hochauflösende phänotypische Bildanalyse mit künstlicher Intelligenz:
Wir wenden die High-Content 2D- und 3D-Bildanalyse an, um phänotypische Profile der Reaktion von Tumorzellkulturen von Patienten auf Medikamente zu erstellen. Dabei verwenden wir den Multiplex-/Zell-Painting-Ansatz, bei dem verschiedene Fluoreszenzfarbstoffe kombiniert werden, um phänotypische Informationen über einzelne Zellen und verabreichte Medikamente zu gewinnen. Mit diesem phänotypischen Profiling-Ansatz untersuchen wir, wie sich die verschiedenen Medikamente auf die unterschiedlichen Subpopulationen von Tumor- und Nicht-Tumorzellen auswirken, und klassifizieren die induzierten Zelltod-Mechanismen sowie die entitäts- und patientenspezifischen Phänotypen und das Ansprechen auf die Medikamente. Wir verwenden sowohl klassische Bildanalyseansätze (MIP (2D), volumetrische 3D-Analyse, 3D- und 2D-Kern- und Einzelzellsegmentierung, erweiterte Merkmalsextraktion (d. h. Morphologie, Form, Intensität, Textur), überwachtes und unüberwachtes Phänotyp-Clustering) als auch durchgängiges Deep Learning mit dem Ziel, komplexere und detailliertere Informationen über die Arzneimittelwirkung und das Zellverhalten zu gewinnen.
Für die Quantifizierung von bildbasierten Arzneimittelreaktionen haben wir bereits eine Methode des Deep Transfer Learning für jeden einzelnen Patienten entwickelt, bei der ein konvolutionales neuronales Netzwerk verwendet wird, das Bildinformationen in bildbasierte Zelllebensfähigkeiten umwandelt (Berker Y. et al., IEEE-Trans Med Imaging (TMI), 2022). Unsere Gruppe baut nun auf den etablierten Pipelines auf und entwickelt neue und fortschrittliche KI-basierte Bildanalysemodelle. Dabei arbeiten wir eng mit den lokalen und internationalen Bioinformatik-, KI- und Bildanalysegruppen zusammen.
Die Gruppe ist angegliedert an die Gruppe Klinische Pharmazie, FB 14 am Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Ausgewählte Publikationen
iTReX:. Interactive exploration of mono- and combination therapy dose response profiling data
ElHarouni D, Berker Y, Peterziel H, Gopisetty A, Turunen L, Kreth S, Stainczyk SA, Oehme I, Pietiäinen V, Jäger N, Witt O, Schlesner M, Oppermann S.
Pharmacol Res 2022 Jan:175:105996. doi: 10.1016/j.phrs.2021.105996.
Patient-by-Patient Deep Transfer Learning for Drug-Response Profiling Using Confocal Fluorescence Microscopy of Pediatric Patient-Derived Tumor-Cell Spheroids.
Berker Y, ElHarouni D, Peterziel H, Fiesel P, Witt O, Oehme I, Schlesner M, Oppermann S.
IEEE Trans Med Imaging 2022 Dec;41(12):3981-3999, doi: 10.1109/TMI.2022.3205554
Development of a functional patient-derived 3D multicellular platform for real-time personalized drug sensitivity profiling in the pediatric precision oncology program
H. Peterziel, N. Jamaladdin, ..., Oppermann S, Milde T, Witt O, Oehme I. INFORM.
NPJ Precis Oncol. 2022; doi: 10.1038/s41698-022-00335-y
Weitere Publikationen
Combination drug screen identifies synergistic drug interaction of BCL-XL and class I histone deacetylase inhibitors in MYC-amplified medulloblastoma cells
J Neurooncol. 2024 Jan;166(1):99-112. doi: 10.1007/s11060-023-04526-w. Epub 2024 Jan 7.
ABSTRACT
PURPOSE: Patients with MYC-amplified Group 3 medulloblastoma (MB)…
At a glance: the largest Niemann-Pick type C1 cohort with 602 patients diagnosed over 15 years
Eur J Hum Genet. 2023 Oct;31(10):1108-1116. doi: 10.1038/s41431-023-01408-7. Epub 2023 Jul 11.
ABSTRACT
Niemann-Pick type C1 disease (NPC1 [OMIM 257220]) is a rare and…
Drug sensitivity profiling of 3D tumor tissue cultures in the pediatric precision oncology program INFORM
NPJ Precis Oncol. 2022 Dec 27;6(1):94. doi: 10.1038/s41698-022-00335-y.
ABSTRACT
The international precision oncology program INFORM enrolls relapsed/refractory…
Patient-by-Patient Deep Transfer Learning for Drug-Response Profiling Using Confocal Fluorescence Microscopy of Pediatric Patient-Derived Tumor-Cell Spheroids
IEEE Trans Med Imaging. 2022 Dec;41(12):3981-3999. doi: 10.1109/TMI.2022.3205554. Epub 2022 Dec 2.
ABSTRACT
Image-based phenotypic drug profiling is receiving increasing…
The root zone of graminoids: A niche for H2-consuming acetogens in a minerotrophic peatland
Front Microbiol. 2022 Aug 5;13:978296. doi: 10.3389/fmicb.2022.978296. eCollection 2022.
ABSTRACT
The importance of acetogens for H2 turnover and overall anaerobic…
The gene order in the nuo-operon is not essential for the assembly of E. coli complex I
Biochim Biophys Acta Bioenerg. 2022 Oct 1;1863(7):148592. doi: 10.1016/j.bbabio.2022.148592. Epub 2022 Jul 19.
ABSTRACT
Energy-converting NADH: ubiquinone…
An integrated multiomic approach as an excellent tool for the diagnosis of metabolic diseases: our first 3720 patients
Eur J Hum Genet. 2022 Sep;30(9):1029-1035. doi: 10.1038/s41431-022-01119-5. Epub 2022 May 25.
ABSTRACT
To present our experience using a multiomic approach, which…
Functional Therapeutic Target Validation Using Pediatric Zebrafish Xenograft Models
Cancers (Basel). 2022 Feb 8;14(3):849. doi: 10.3390/cancers14030849.
ABSTRACT
The survival rate among children with relapsed tumors remains poor, due to tumor…
Prevalence of Fabry Disease among Patients with Parkinson's Disease
Parkinsons Dis. 2022 Jan 24;2022:1014950. doi: 10.1155/2022/1014950. eCollection 2022.
ABSTRACT
BACKGROUND: An increased prevalence of Parkinson's disease (PD) disease…
iTReX: Interactive exploration of mono- and combination therapy dose response profiling data
Pharmacol Res. 2022 Jan;175:105996. doi: 10.1016/j.phrs.2021.105996. Epub 2021 Nov 27.
ABSTRACT
High throughput screening methods, measuring the sensitivity and…
Structure of Escherichia coli cytochrome bd-II type oxidase with bound aurachin D
Nat Commun. 2021 Nov 11;12(1):6498. doi: 10.1038/s41467-021-26835-2.
ABSTRACT
Cytochrome bd quinol:O2 oxidoreductases are respiratory terminal oxidases so far only…
Organic carbon from graminoid roots as a driver of fermentation in a fen
FEMS Microbiol Ecol. 2021 Nov 13;97(11):fiab143. doi: 10.1093/femsec/fiab143.
ABSTRACT
Fen Schlöppnerbrunnen is a moderately acidic methane-emitting peatland overgrown…
Structure of the peripheral arm of a minimalistic respiratory complex I
Structure. 2022 Jan 6;30(1):80-94.e4. doi: 10.1016/j.str.2021.09.005. Epub 2021 Sep 24.
ABSTRACT
Respiratory complex I drives proton translocation across…
A Quinol Anion as Catalytic Intermediate Coupling Proton Translocation With Electron Transfer in E. coli Respiratory Complex I
Front Chem. 2021 May 7;9:672969. doi: 10.3389/fchem.2021.672969. eCollection 2021.
ABSTRACT
Energy-converting NADH:ubiquinone oxidoreductase, respiratory complex I,…
ErpA is important but not essential for the Fe/S cluster biogenesis of Escherichia coli NADH:ubiquinone oxidoreductase (complex I)
Biochim Biophys Acta Bioenerg. 2020 Dec 1;1861(12):148286. doi: 10.1016/j.bbabio.2020.148286. Epub 2020 Aug 8.
ABSTRACT
Energy converting NADH:ubiquinone oxidoreductase,…