Georg-Speyer-Haus Außenansicht

Geschichte

Die Geschichte des Georg-Speyer-Hauses

Das Chemotherapeutische Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus blickt auf eine über 100 jährige Geschichte zurück. Will man die Entstehung des Instituts verstehen, muss man bis in das Jahr 1895 zurückgehen.

Damals, in der Gründerzeit in Frankfurt am Main, regte der tatkräftige Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Franz Bouchard Ernst Adickes, an, dass die Stadt Frankfurt am Main “jede Gelegenheit zur Heranziehung geistiger Capacitäten” [Bäumler, S. 122] nutzen solle. Dieser Politik folgend wandte er sich an den Ministerialdirektor Friedrich Althoff, der zu der damaligen Zeit die zentrale Person in der deutschen Bildungspolitik und der Finanzierung der solchen war. Diesen beiden Persönlichkeiten ist es zu verdanken, dass die “wissenschaftliche Capazität”, Paul Ehrlich, als Direktor nach Frankfurt an das neu errichtete Königliche Institut für Experimentelle Therapie berufen wurde.

Das wissenschaftliche und auch wirtschaftliche Potential von Paul Ehrlichs Arbeiten wurde bald von Ludwig Darmstaedter, einer der weiteren einflussreichen und in der Entstehungsgeschichte des Instituts wichtigen Persönlichkeiten, gefördert. Seinem Einfluss ist es zu verdanken, dass Franziska Speyer, die Witwe des Mäzens Georg Speyer, im Jahr 1904 eine Spende von einer Million Goldmark tätigte und damit den Grundstein für das heutige Georg-Speyer-Haus legte. Im Jahr 1905 stellte Oberbürgermeister Franz Adickes Bauland direkt neben dem Königlichen Institut für Experimentelle Therapie zur Verfügung. Mit der Fertigstellung ging das Georg-Speyer-Haus direkt in das Eigentum der Stadt Frankfurt über, womit die Stadt sich gleichzeitig dazu verpflichtete, die nötigen baulichen Maßnahmen zur Instandhaltung des Instituts zu gewährleisten. Bereits am 3. September 1906 wurde das Georg-Speyer-Haus feierlich eröffnet und seinem ersten Direktor, Paul Ehrlich, übergeben.

Paul Ehrlich stellte zu seinen Lebzeiten viele wichtige Theorien auf und erarbeitete sich einen noch immer exzellenten Ruf als Chemiker, Mediziner, Serologe und Immunologe. Er gilt unter anderem als der Begründer der Experimentellen Medizin, der modernen Chemotherapie und der Immunologie. 1908 erhielt er den Nobelpreis in Physiologie oder Medizin.

Eine seiner Theorien besagt, einfach formuliert, dass es zu jeder Erkrankung eine Art “magischer Kugel” (magic bullet) gibt, die im menschlichen Körper eben diese Erkrankung und nur diese angreift und beseitigt. Vor diesem Hintergrund ist seine – von ihm erstmalig angewandte – systematische Suche nach einem gezielten Wirkstoff, der spezifisch gegen die Syphilis wirkt, zu erklären. Er begann seine Experimente zur Untersuchung der Wirksamkeit mit der Arsenverbindung Atoxyl, und nach einem jahrelangen Marathon von Untersuchungen potentiell wirksamer Substanzen konnte Alfred Bertheimer schließlich Arsphenamin synthetisieren. In Zusammenarbeit mit dem japanischen Gastwissenschaftler Sahachiro Hata (* 23.März 1873; † 22.November 1938) gelang es Paul Ehrlich, die Wirksamkeit dieser “Verbindung 606” nachzuweisen. Als Salvarsan vermarktet wurde, war es mit diesem Therapeutikum erstmals möglich, eine der damals tödlichsten Infektionskrankheiten in Europa, die Syphilis, wirksam zu heilen.

Paul Ehrlich knüpfte ein ganzes Netzwerk aus internationalen Kontakten, welches ihm schon damals ermöglichte, seine Forschungen weit über Landes- und Sprachgrenzen hinaus zu betreiben. Neben dem bekannt gewordenen Sahachiro Hata kam so im Jahr 1912 auch Paul Karrer an das Institut. Der Nobelpreisträger von 1937 sollte sechs Jahre lang am Georg-Speyer-Haus forschen, wurde dann aber 1918 an die Universität Zürich berufen, an der er 1919 die Leitung des chemischen Instituts der Universität übernahm.

Erst zwei Jahre nach dem Tod von Paul Ehrlich im Jahr 1915 übernahm Wilhelm Kolle bis 1935 die Leitung beider Institute. In seine Zeit fällt eine grundlegende Verbesserung der Finanzierung des Georg-Speyer-Hauses. 1921 initiierte Ludwig Darmstaedter die vollständige Trennung zwischen der Georg und Franziska Speyerschen Studienstiftung, die fortan vor allem die Universität unterstützen sollte und dem Georg-Speyer-Haus. Diese Trennung der Stiftungen hatte den Zweck, die Einnahmen aus der Salvarsan-Lizenz für die Finanzierung der Forschung am Georg-Speyer-Haus zu erhalten. Seither ist dieStiftung Georg-Speyer-Haus eine selbständige, gemeinnützige Stiftung mit dem Zweck, die Forschungsarbeit am gleichnamigen Institut zu unterstützen.

Ebenfalls in die Wirkungszeit Kolles fällt die Weiterentwicklung des Salvarsans (Neosalvarsan) und eine wichtige bauliche Maßnahme. 1922 wurden die Gebäude des Königlichen Instituts für Experimentelle Therapie und des Chemotherapeutischen Forschungsinstituts Georg-Speyer-Haus miteinander verbunden. Zusätzlich wurde das Ferdinand-Blum-Institut in dieser baulichen Maßnahme mit in den noch heute bestehenden Gebäudekomplex einbezogen.

1935 übernahm Richard Otto bis zum Jahr 1948 die Leitung der vereinigten Institute. In seiner Wirkungszeit regierte das NS-Regime, und in dem durch die jüdische Stifterfamilie Speyer gegründeten Institut mit vielen leitenden Mitarbeitenden jüdischer Herkunft kam es zu tiefgreifenden Veränderungen. In dem Versuch, alles Jüdische aus dem Institut zu vertreiben, wurden Mitarbeiter:innen entlassen, die Schriften Paul Ehrlichs aus der Bibliothek verbannt und das Institut in Forschungsinstitut für Chemotherapie umbenannt. Während des Zweiten Weltkrieges wird über die Chemotherapie von Tuberkulose, Lepra und Fleckfieber geforscht und Tumorforschung betrieben. Daneben mussten kriegswichtige Arbeiten übernommen werden wie die Entwicklung von Synthesegummi, einem Impfstoff gegen Fleckfieber und Heilmittel gegen Giftgas und Gasbrand. Das Gebäude des Georg-Speyer-Hauses wurde bei Bombenangriffen 1944 nur leicht beschädigt, während das Gebäude des Königlichen Instituts für Experimentelle Therapie weitgehend zerstört wurde und das Institut teilweise nach Marburg verlegt werden musste.

Nach 1945 wurden die Arisierungsmaßnahmen rückgängig gemacht. 1947 erreichte Günter K. Schwerin, ein Enkel Paul Ehrlichs, zudem bei der Militärverwaltung, dass der Name des ersten Direktors zum Teil des Institutsnamens wurde. So wurde aus dem Staatlichen Institut für Experimentelle Therapie das Paul-Ehrlich-Institut Staatliche Anstalt für Experimentelle Therapie.

Als Richard Prigge 1949 die Direktion der Institute übernahm, war das Stiftungsvermögen des Georg-Speyer-Hauses, das vor der Währungsreform noch 10 Millionen Mark betragen hatte, auf 130.000 Mark geschrumpft, die Lizenzzahlungen für Salvarsan waren ausgelaufen und es gab kaum noch Einnahmen. Doch bereits 1950 besserte sich die Finanzlage durch das Königsteiner Staatsabkommen, bei dem sich die Bundesländer verpflichteten, gemeinsam die Finanzierung größerer Forschungseinrichtungen zu übernehmen.

1962 übernahm Günther Heymann kommissarisch die Leitung beider Institute, bis 1966 der spätere Nobelpreisträger Niels Kaj Jerne zum Direktor berufen wurde. Jerne erhielt schon bald einen Ruf und verließ das Institut, um die Leitung des Baseler Instituts für Immunologie zu übernehmen. Günther Heymann übernahm erneut kommissarisch die Direktion und in dieser Zeit, am 1. November 1972, wurde das Paul-Ehrlich-Institut mit dem “Gesetz zur Errichtung eines Bundesamtes für Sera und Impfstoffe” zu einer selbständigen Behörde.

1974 wurde Hans Dieter Brede zum Leiter beider Institute berufen, er leitete die immuntherapeutische Forschung im Georg-Speyer-Haus ein. Unter seiner Führung wurde die Personalunion zwischen dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Georg-Speyer-Haus gelöst, und ab 1987 begann auch die räumliche Abkoppelung des Paul-Ehrlich-Instituts. Mit der öffentlichen Einweihung des neuen Paul-Ehrlich-Instituts im Mai 1990 in einem eigenständigen Gebäudekomplex in Langen wurde die Trennung der selbstständigen Behörde und des Georg-Speyer-Hauses abgeschlossen.

Bereits 1987 übernahm Helga Rübsamen‐Schaeff die Leitung des Georg-Speyer-Hauses. Sie intensivierte die immunologische Forschung im Institut zum Zeitpunkt des ersten Auftretens der Immundefizienzerkrankung AIDS in Deutschland. Dank der engen Nachbarschaft mit der Universitätsklinik konnten in Deutschland erstmals HIV-Stämme aus Patient:innen isoliert und charakterisiert werden, die ihren Weg in diagnostische Tests fanden und so dem Institut über viele Jahre Lizenzeinnahmen brachten. 1993 wechselte Helga Rübsamen‐Schaeff zu der Firma Bayer als Leiterin der Virologie und später auch der Infektiologie.

Bis zu seinem Tode 1998 übernahm Hans Dieter Brede erneut, diesmal kommissarisch, die Leitung des Georg-Speyer-Hauses. Seine Bemühungen galten neben der Forschung insbesondere der Modernisierung des Instituts und der Stabilisierung seiner wirtschaftlichen Lage. Er erreichte beides, der gesamte Gebäudekomplex wurde von 1995 bis 1997 aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, kernsaniert und modernisiert.

Unter der Leitung von Bernd Groner wurde seit 1998 die Forschung im Bereich der Tumorbiologie wieder stärker betont und die Zusammenarbeit mit der Universität, dem Universitätsklinikum und weiteren lokalen und nationalen Forschungseinrichtungen intensiviert. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit am Standort wird gezielt gefördert, und durch die Einrichtung von Nachwuchsforschungsgruppen wird jungen Gruppenleiter:innen die Chance gegeben, sich wissenschaftlich zu etablieren. Wichtige Erfolge in jüngster Zeit sind die klinische Erprobung neuer Krebsmedikamente und der erste erfolgreiche Einsatz der Gentherapie in Europa zur Behandlung eines erblichen Immundefekts bei erwachsenen Patienten.

Nach der Emeritierung von Bernd Groner im Jahr 2012 übernimmt Winfried S. Wels die kommissarische Leitung des Instituts.

Im August 2013 wird Florian Greten Direktor des Georg-Speyer-Hauses. Die Fokussierung der Forschung auf die Tumorbiologie wird weiter vorangetrieben, was auch in der Umbenennung des Instituts von Chemotherapeutisches Forschungsinstitut Georg-Speyer-Haus zu Georg Speyer Haus – Institut für Tumorbiologie und experimentelle Therapie zum Ausdruck kommt.


Anmerkung: Der einfacheren Lesbarkeit halber ist der Text ohne Nennung der akademischen Titel und Dienstbezeichnungen, Rang und Namen der Personen abgefasst geschrieben. Die genannten Fakten wurden zum Teil der Biografie über “Paul Ehrlich – Forscher für das Leben” von Ernst Bäumler entnommen.